Mittwoch, 21. August 2013

Eine Geschichte aus einer möglichen Zukunft

Es war einer dieser verregneten Tage so gegen Ende September, ich saß am Küchentisch, noch in meinem Schlafanzug und las die Zeitung während meine rechte Hand sich an der zweiten Tasse Kaffee festhielt. Die Firma hatte wieder Kurzarbeit und ich driftete in den Tag. Ich hatte mich vor lauter Langeweile bis in den Lokalteil vorgearbeitet als es an der Tür klingelte. Ich nahm noch einen Schluck Kaffee, stand auf, holte mir aus dem Badezimmer im vorübergehen meinen Bademantel und ging die Tür zu öffnen. Ich schaute durch den Spion und sah zwei etwas konservativ gekleidete Herren – grauer Anzug, dezente Krawatte, eine blau, eine rot, ordentlich frisiertes Haar. Vertreter vielleicht oder irgendeine Sekte, die mich bekehren wollte. Sch*** vielleicht hätte ich doch nicht aus der Kirche austreten sollen, seitdem ich das getan hatte kamen diese Leute immer häufiger.

Ich öffnete die Tür einen Spalt.

„Ja? was möchten Sie?“
„Herr Wilfried Müller?“ fragte einer der Herren, der mit dem roten Schlips,“Herr Wilfried Norbert Ephraim Müller?“
„Ja, der bin ich“ Für den dritten Vornamen kann ich nun wirklich nichts, mein Vater war ein großer Lessing Fan und ich musste darunter leiden.
„Wir sind vom Statistischen Landesamt für politisch Ämter“, sie zeigten mir ihre Ausweise, „können wir bitte hineinkommen“
Ja, warum denn eigentlich nicht, die Wohnung war zwar nicht aufgeräumt, das war sie eigentlich nicht mehr gewesen, seitdem meine Frau mich mit den Kindern verlassen hat, manchmal kam da noch meine Tochter vorbei, räumte auf und machte mir Vorhaltungen, ich solle doch besser auf mich aufpassen, aber das hielt nicht lange vor. Ich öffnete die Tür ganz und trat beiseite, damit die Herren eintreten konnten. Ich ging vor in die Küche und zeigte zu den Stühlen um den Küchentisch. „Bitte setzen Sie sich“, was die Herren dann auch taten.

„Möchten Sie einen Kaffee? Es ist noch welcher in der Kanne..“ Ich räumte die Zeitung beiseite
Die Herren bejahten diese Frage und ich holte noch zwei Tassen und Löffel aus dem Schrank, goss ihnen den Kaffee ein und stellte Milch und Zucker auf den Tisch.

Ich sah sie erwartungsvoll an.

Der Mann mit dem blauen Schlips öffnete seine Aktentasche und legte einen flachen Ordner vor sich auf den Tisch. „Zunächst möchten wir sie bitten, sich auszuweisen, nur der Form halber.“
Ich stand wieder auf ging ins Schlafzimmer und holte mir die Brieftasche aus der Jacke. Zurück in der Küche gab ich den Personalausweis dem Herren mit dem blauen Schlips. Er öffnete den Ordner, verglich die Angaben mit dem Dokument und legte dann den Ausweis neben dem Ordner auf den Tisch.

„Zunächst möchte wir Sie raten, dieses Gespräch vertraulich zu behandeln. Wir können sie zwar nicht daran hindern, diese Informationen weiter zu geben, aber es ist in ihrem Sinne, wenn diese Informationen nicht vorzeitig bekannt werden“

Ich guckte die Herren mit großen Augen an.

„Haben Sie uns verstanden?“
„Eigentlich nicht“
„Wir wollen ihnen nur empfehlen, das was wir ihnen gleich erzählen erst einmal für sich zu behalten. Solange Sie diese Informationen nicht herausgeben, ist das SLApÄ auch verpflichtet die Informationen geheim zu behalten. Sobald aber auch nur eine Zeitung oder ein anderes Medium dies veröffentlicht oder sie es tun, sind wir verpflichtet die Informationen an alle Medien herauszugeben.“
Da ich immer noch nicht wusste warum es hier ging, hatte ich keine Ahnung, was die Konsequenz wäre. Ich nickte erst einmal mit dem Kopf.

„Wir haben die Aufgabe, Ihnen offiziell mitzuteilen, dass sie für zwei Jahre verpflichtet worden sind.“
Das kam als Schock, ich hätte es ahnen müssen, aber irgendwie hofft ja jeder, dass es einen nicht erwischt.
„Ihr Dienstort wird Berlin sein“
Wenn schon denn schon
Das erste Blatt in dem Ordner war in einer Klarsichthülle, der Mann mit dem blauen Schlips nahm es aus der Hülle, die beiden Männer standen auf.
„Bitte erheben sie sich“
Ich stand auf.

„Herr Wifried Norbert Ephraim Müller, geboren am ..., Wohnhaft zu ... ausgewiesen durch Personalausweis, wird mit der Überreichung der Dienstpflicht-Urkunde verpflichtet zum politischen Dienst der Bundesrepublik Deutschland laut dem Bundesgesetz zum Politischen Pflicht-Dienst vom .... Die Urkunde wird überreicht durch Herrn Konstantin Schmückler, Amtsrat bezeugt durch Herrn Richard Schmitt, Oberamtsrat“

Es war schon ein komisches Bild, hier wurde mir über den Küchentisch hinweg eine hochoffizielle Urkunde ausgehändigt, auf der einen Seite zwei formell gekleidete Herren und ich auf der anderen Seite in Schlafanzug, Morgenmantel und Hausschuhen.

„Bitte setzen Sie sich“
mir wurde ein ein weiteres Blatt vorgelegt auf dem ich den Erhalt bestätigen sollte.

„Und wenn ich nicht will?“

„Laut Paragraph 2 des BGPPD ist jeder Deutsche Staatsbürger mit abgeschlossener Schulbildung verpflichtet zum Politischen Dienst in seiner Gemeinde, seinem Landkreis seinem Bundesland, in der Bundesrepublik oder in Übernationalen Aufgaben – darunter fällt auch die Europäische Union. Ausgenommen sind Berufliche Beschäftigte in Politischen Ämtern, Insassen von Justiz Vollzugsanstalten, Vorbestrafte die für bestimmte Kapitalverbrechen laut Anhang C, sowie Bürgern, denen dieser Dienst aus Gesundheitliche Gründen nicht zuzumuten ist“
Dar Mann mit dem roten Schlips zeigte auf den entsprechenden Text auf der Urkunde während er ihn auswendig aufsagte.

„Um es auf den Punkt zu bringen, wenn sie das vermeiden wollen, müssen sie jetzt noch schnell ein Kapitalverbrechen begehen oder sich für verrückt erklären lassen.“

„Und wenn meine Religion mir einen politischen Dienst untersagt“

„Da gibt es inzwischen auch ein höchstrichterliches Urteil: Wenn eine Religion einem die Ausführung der Staatsbürgerliche Pflicht verbietet, verbietet diese Religion automatisch auch die Teilnahme an allen geschäftlichen Prozessen. Sie würden geschäftsunfähig erklärt und würden einem offiziellen Vormund unterworfen. Und das nicht nur für die Zeit ihrer Dienstverpflichtung“

Es gab also keinen Ausweg. Ich musste meinen Dienst antreten

„Lassen Sie uns Ihnen alles erklären, so schlimm ist es nicht. Herr Schmückler und ich haben auch unseren Dienst abgegolten, ich habe mich sogar freiwillig zu vier Jahren verpflichtet“
Ich machte eine frische Kanne Kaffee und lies mir die Details erklären.

Zunächst war ich für zwei Jahre verpflichtet, die Auswahl fand über einen Zufallsgenerator statt. Man konnte sich innerhalb der ersten zwei Wochen – also in der Zeit bis zum eigentlichen Dienstantritt – noch für zwei zusätzliche Jahre verpflichten. Dann konnte es passieren, dass man einen Auslandsdienst antreten musste. Die Hälfte der Zeit war man am Dienstsitz die andere Hälfte musste man im Büro in seinem Kreis arbeiten. Bürgerbüro nannte sich das. Das Gehalt wurde weiter gezahlt – ich konnte also meiner Frau weiterhin den Unterhalt bezahlen - bis zu einem Limit und dann bekam man eine Aufwandsentschädigung. Der Dienst in Berlin und im Ausland hatten noch den Vorteil, das dies Vollzeit Dienste waren. Die kommunalen Tätigkeiten waren Nebenbeschäftigungen, man musste in seinem Job weiter arbeiten, und die Landesdienste waren Halbzeit Dienste, was den Arbeitgeber verpflichtete eine halbe Stelle zu geben. Dafür brauchte man für die Landes und Kommunalen Dienste nicht umzuziehen.
Für den Dienst in Berlin bekam man ein Appartement in einer geschützten Anlage, die im Volksmund „Die Kaserne“ genannt wurde.

Da die Presse sich auf die neuen Dienstverpflichteten stürzte wie ein Rudel Hunde auf ein waidgeschossenes Reh, empfohlen sie mir nochmals, ich solle den Dienst erst einmal für mich behalten.

Und Kleidung? So wie ich Augenblick war konnte ich natürlich nicht erscheinen. Ja, es gäbe eine Kleiderordnung und ja, es gäbe einen Zuschuss zu den Kosten.

Die erste Woche an dem Dienstsitz war eine Grundausbildung, die Verhaltensregeln. Dann würde man sich auch entscheiden, ob man sich einer Gruppe anschließen wolle und in welcher Arbeitsgruppe man mitarbeiten wolle. „Das eine hat manchmal mit dem anderen zu tun, wenn Sie, sagen wir mal, im Sozialen mitarbeiten wollen, und nur eine Gruppe braucht noch einen, der dort Interessen zeigt, dann schließt man sich denen an.“

Meine ersten Fragen waren beantwortet. Sie verabschiedeten sich Sie ließen mir den Ordner da mit der Urkunde und mit Informationsmaterial. Und Visitenkarten, damit ich sie anrufen könne, falls ich weitere Fragen hätte.

Es war alles ein wenig viel für den Augenblick. Ich hatte mich doch eigentlich nie für Politik interessiert. Sport – Fußball war meine Sache, und Skat mit den Kollegen alle vierzehn Tage. Jetzt sollte ich also politische Dienst ableisten, und auch noch in Berlin. Das alleine war doch Strafe genug. Aber Herta Fan wurde ich deshalb nicht. Können die dort überhaupt Skat spielen, und wie schmeckt das Bier dort?

In den nächsten Wochen behielt ich die Informationen für mich. Weder beim Skatabend sagte ich was, noch etwas zu meiner Tochter, als die kam bei mir nach dem Rechten zu sehen. Sie sah den neuen Anzug, den ich gekauft hatte und der an der Schlafzimmerschranktür hing.
„Du hast dir einen neuen Anzug gekauft?“ fragte sie.
„Warum denn nicht“
„Wann trägst Du den einen Anzug?“
„Ja wenn Du deinen Abschluss machst, will ich mich doch vernünftig anziehen“ Sie war im dritten Lehrjahr.
„Papa“ sagte sie mit einem Zwinkern in den Augen „Du bist lieb“ Ich glaubte, sie meinte ich hätte eine neue Frau getroffen und hätte den Anzug deswegen gekauft.
Einige der anderen Dienstverpflichteten hatten nicht hinter dem Berg gehalten und wurden in der Presse und im Fernsehen herumgereicht. Eine kam sogar bis in TV Total und wurde dort auseinandergenommen.

Als dann der Termin zu Dienstantritt kam, war kein Halten mehr. Die Liste der Dienstverpflichteten wurde an dem Abend vorher veröffentlicht. Als der Wagen kam, um mich zum Flughafen abzuholen, standen Journalisten vor der Tür und ein wahres Blitzlichtgewitter setzte ein, als ich aus dem Haus trat. Der Fahrer geleitete mich schnell zum Wagen. Wir fuhren zum Flughafen. Dort traf ich dann weitere Kandidaten. Zusammen flogen wir nach Berlin.

In Berlin wurden wir abgeholt wieder umringt von Journalisten, Fragen wurden uns zugerufen, die ich nicht verstand. Ich war froh als wir endlich ankamen.

Ankamen im Reichstag: für die nächsten zwei Jahre war ich Bundestagsabgeordneter.

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