Es war einer dieser
verregneten Tage so gegen Ende September, ich saß am Küchentisch,
noch in meinem Schlafanzug und las die Zeitung während meine rechte
Hand sich an der zweiten Tasse Kaffee festhielt. Die Firma hatte
wieder Kurzarbeit und ich driftete in den Tag. Ich hatte mich vor
lauter Langeweile bis in den Lokalteil vorgearbeitet als es an der
Tür klingelte. Ich nahm noch einen Schluck Kaffee, stand auf, holte
mir aus dem Badezimmer im vorübergehen meinen Bademantel und ging
die Tür zu öffnen. Ich schaute durch den Spion und sah zwei etwas
konservativ gekleidete Herren – grauer Anzug, dezente Krawatte,
eine blau, eine rot, ordentlich frisiertes Haar. Vertreter vielleicht
oder irgendeine Sekte, die mich bekehren wollte. Sch*** vielleicht
hätte ich doch nicht aus der Kirche austreten sollen, seitdem ich
das getan hatte kamen diese Leute immer häufiger.
Ich öffnete die Tür
einen Spalt.
„Ja? was möchten
Sie?“
„Herr Wilfried
Müller?“ fragte einer der Herren, der mit dem roten Schlips,“Herr
Wilfried Norbert Ephraim Müller?“
„Ja, der bin ich“
Für den dritten Vornamen kann ich nun wirklich nichts, mein Vater
war ein großer Lessing Fan und ich musste darunter leiden.
„Wir sind vom
Statistischen Landesamt für politisch Ämter“, sie zeigten mir
ihre Ausweise, „können wir bitte hineinkommen“
Ja, warum denn
eigentlich nicht, die Wohnung war zwar nicht aufgeräumt, das war sie
eigentlich nicht mehr gewesen, seitdem meine Frau mich mit den
Kindern verlassen hat, manchmal kam da noch meine Tochter vorbei,
räumte auf und machte mir Vorhaltungen, ich solle doch besser auf
mich aufpassen, aber das hielt nicht lange vor. Ich öffnete die Tür
ganz und trat beiseite, damit die Herren eintreten konnten. Ich ging
vor in die Küche und zeigte zu den Stühlen um den Küchentisch.
„Bitte setzen Sie sich“, was die Herren dann auch taten.
„Möchten Sie
einen Kaffee? Es ist noch welcher in der Kanne..“ Ich räumte die
Zeitung beiseite
Die Herren bejahten
diese Frage und ich holte noch zwei Tassen und Löffel aus dem
Schrank, goss ihnen den Kaffee ein und stellte Milch und Zucker auf
den Tisch.
Ich sah sie
erwartungsvoll an.
Der Mann mit dem
blauen Schlips öffnete seine Aktentasche und legte einen flachen
Ordner vor sich auf den Tisch. „Zunächst möchten wir sie bitten,
sich auszuweisen, nur der Form halber.“
Ich stand wieder auf
ging ins Schlafzimmer und holte mir die Brieftasche aus der Jacke.
Zurück in der Küche gab ich den Personalausweis dem Herren mit dem
blauen Schlips. Er öffnete den Ordner, verglich die Angaben mit dem
Dokument und legte dann den Ausweis neben dem Ordner auf den Tisch.
„Zunächst möchte
wir Sie raten, dieses Gespräch vertraulich zu behandeln. Wir können
sie zwar nicht daran hindern, diese Informationen weiter zu geben,
aber es ist in ihrem Sinne, wenn diese Informationen nicht vorzeitig
bekannt werden“
Ich guckte die
Herren mit großen Augen an.
„Haben Sie uns
verstanden?“
„Eigentlich nicht“
„Wir wollen ihnen
nur empfehlen, das was wir ihnen gleich erzählen erst einmal für
sich zu behalten. Solange Sie diese Informationen nicht herausgeben,
ist das SLApÄ auch verpflichtet die Informationen geheim zu
behalten. Sobald aber auch nur eine Zeitung oder ein anderes Medium
dies veröffentlicht oder sie es tun, sind wir verpflichtet die
Informationen an alle Medien herauszugeben.“
Da ich immer noch
nicht wusste warum es hier ging, hatte ich keine Ahnung, was die
Konsequenz wäre. Ich nickte erst einmal mit dem Kopf.
„Wir haben die
Aufgabe, Ihnen offiziell mitzuteilen, dass sie für zwei Jahre
verpflichtet worden sind.“
Das kam als Schock,
ich hätte es ahnen müssen, aber irgendwie hofft ja jeder, dass es
einen nicht erwischt.
„Ihr Dienstort
wird Berlin sein“
Wenn schon denn
schon
Das erste Blatt in
dem Ordner war in einer Klarsichthülle, der Mann mit dem blauen
Schlips nahm es aus der Hülle, die beiden Männer standen auf.
„Bitte erheben sie
sich“
Ich stand auf.
„Herr Wifried
Norbert Ephraim Müller, geboren am ..., Wohnhaft zu ... ausgewiesen
durch Personalausweis, wird mit der Überreichung der
Dienstpflicht-Urkunde verpflichtet zum politischen Dienst der
Bundesrepublik Deutschland laut dem Bundesgesetz zum Politischen
Pflicht-Dienst vom .... Die Urkunde wird überreicht durch Herrn
Konstantin Schmückler, Amtsrat bezeugt durch Herrn Richard Schmitt,
Oberamtsrat“
Es war schon ein
komisches Bild, hier wurde mir über den Küchentisch hinweg eine
hochoffizielle Urkunde ausgehändigt, auf der einen Seite zwei
formell gekleidete Herren und ich auf der anderen Seite in
Schlafanzug, Morgenmantel und Hausschuhen.
„Bitte setzen Sie
sich“
mir wurde ein ein
weiteres Blatt vorgelegt auf dem ich den Erhalt bestätigen sollte.
„Und wenn ich
nicht will?“
„Laut Paragraph 2
des BGPPD ist jeder Deutsche Staatsbürger mit abgeschlossener
Schulbildung verpflichtet zum Politischen Dienst in seiner Gemeinde,
seinem Landkreis seinem Bundesland, in der Bundesrepublik oder in
Übernationalen Aufgaben – darunter fällt auch die Europäische
Union. Ausgenommen sind Berufliche Beschäftigte in Politischen
Ämtern, Insassen von Justiz Vollzugsanstalten, Vorbestrafte die für
bestimmte Kapitalverbrechen laut Anhang C, sowie Bürgern, denen
dieser Dienst aus Gesundheitliche Gründen nicht zuzumuten ist“
Dar Mann mit dem
roten Schlips zeigte auf den entsprechenden Text auf der Urkunde
während er ihn auswendig aufsagte.
„Um es auf den
Punkt zu bringen, wenn sie das vermeiden wollen, müssen sie jetzt
noch schnell ein Kapitalverbrechen begehen oder sich für verrückt
erklären lassen.“
„Und wenn meine
Religion mir einen politischen Dienst untersagt“
„Da gibt es
inzwischen auch ein höchstrichterliches Urteil: Wenn eine Religion
einem die Ausführung der Staatsbürgerliche Pflicht verbietet,
verbietet diese Religion automatisch auch die Teilnahme an allen
geschäftlichen Prozessen. Sie würden geschäftsunfähig erklärt
und würden einem offiziellen Vormund unterworfen. Und das nicht nur
für die Zeit ihrer Dienstverpflichtung“
Es gab
also keinen Ausweg. Ich musste meinen Dienst antreten
„Lassen
Sie uns Ihnen alles erklären, so schlimm ist es nicht. Herr
Schmückler und ich haben auch unseren Dienst abgegolten, ich habe
mich sogar freiwillig zu vier Jahren verpflichtet“
Ich
machte eine frische Kanne Kaffee und lies mir die Details erklären.
Zunächst
war ich für zwei Jahre verpflichtet, die Auswahl fand über einen
Zufallsgenerator statt. Man konnte sich innerhalb der ersten zwei
Wochen – also in der Zeit bis zum eigentlichen Dienstantritt –
noch für zwei zusätzliche Jahre verpflichten. Dann konnte es
passieren, dass man einen Auslandsdienst antreten musste. Die Hälfte
der Zeit war man am Dienstsitz die andere Hälfte musste man im Büro
in seinem Kreis arbeiten. Bürgerbüro nannte sich das. Das Gehalt
wurde weiter gezahlt – ich konnte also meiner Frau weiterhin den
Unterhalt bezahlen - bis zu einem Limit und dann bekam man eine
Aufwandsentschädigung. Der Dienst in Berlin und im Ausland hatten
noch den Vorteil, das dies Vollzeit Dienste waren. Die kommunalen
Tätigkeiten waren Nebenbeschäftigungen, man musste in seinem Job
weiter arbeiten, und die Landesdienste waren Halbzeit Dienste, was
den Arbeitgeber verpflichtete eine halbe Stelle zu geben. Dafür
brauchte man für die Landes und Kommunalen Dienste nicht umzuziehen.
Für den
Dienst in Berlin bekam man ein Appartement in einer geschützten
Anlage, die im Volksmund „Die Kaserne“ genannt wurde.
Da die
Presse sich auf die neuen Dienstverpflichteten stürzte wie ein Rudel
Hunde auf ein waidgeschossenes Reh, empfohlen sie mir nochmals, ich
solle den Dienst erst einmal für mich behalten.
Und
Kleidung? So wie ich Augenblick war konnte ich natürlich nicht
erscheinen. Ja, es gäbe eine Kleiderordnung und ja, es gäbe einen
Zuschuss zu den Kosten.
Die erste
Woche an dem Dienstsitz war eine Grundausbildung, die
Verhaltensregeln. Dann würde man sich auch entscheiden, ob man sich
einer Gruppe anschließen wolle und in welcher Arbeitsgruppe man
mitarbeiten wolle. „Das eine hat manchmal mit dem anderen zu tun,
wenn Sie, sagen wir mal, im Sozialen mitarbeiten wollen, und nur eine
Gruppe braucht noch einen, der dort Interessen zeigt, dann schließt
man sich denen an.“
Meine
ersten Fragen waren beantwortet. Sie verabschiedeten sich Sie ließen
mir den Ordner da mit der Urkunde und mit Informationsmaterial. Und
Visitenkarten, damit ich sie anrufen könne, falls ich weitere Fragen
hätte.
Es war
alles ein wenig viel für den Augenblick. Ich hatte mich doch
eigentlich nie für Politik interessiert. Sport – Fußball war
meine Sache, und Skat mit den Kollegen alle vierzehn Tage. Jetzt
sollte ich also politische Dienst ableisten, und auch noch in Berlin.
Das alleine war doch Strafe genug. Aber Herta Fan wurde ich deshalb
nicht. Können die dort überhaupt Skat spielen, und wie schmeckt das
Bier dort?
In den
nächsten Wochen behielt ich die Informationen für mich. Weder beim
Skatabend sagte ich was, noch etwas zu meiner Tochter, als die kam
bei mir nach dem Rechten zu sehen. Sie sah den neuen Anzug, den ich
gekauft hatte und der an der Schlafzimmerschranktür hing.
„Du
hast dir einen neuen Anzug gekauft?“ fragte sie.
„Warum
denn nicht“
„Wann
trägst Du den einen Anzug?“
„Ja
wenn Du deinen Abschluss machst, will ich mich doch vernünftig
anziehen“ Sie war im dritten Lehrjahr.
„Papa“
sagte sie mit einem Zwinkern in den Augen „Du bist lieb“ Ich
glaubte, sie meinte ich hätte eine neue Frau getroffen und hätte
den Anzug deswegen gekauft.
Einige
der anderen Dienstverpflichteten hatten nicht hinter dem Berg
gehalten und wurden in der Presse und im Fernsehen herumgereicht.
Eine kam sogar bis in TV Total und wurde dort auseinandergenommen.
Als dann
der Termin zu Dienstantritt kam, war kein Halten mehr. Die Liste der
Dienstverpflichteten wurde an dem Abend vorher veröffentlicht. Als
der Wagen kam, um mich zum Flughafen abzuholen, standen Journalisten
vor der Tür und ein wahres Blitzlichtgewitter setzte ein, als ich
aus dem Haus trat. Der Fahrer geleitete mich schnell zum Wagen. Wir
fuhren zum Flughafen. Dort traf ich dann weitere Kandidaten. Zusammen
flogen wir nach Berlin.
In Berlin
wurden wir abgeholt wieder umringt von Journalisten, Fragen wurden
uns zugerufen, die ich nicht verstand. Ich war froh als wir endlich
ankamen.
Ankamen
im Reichstag: für die nächsten zwei Jahre war ich
Bundestagsabgeordneter.
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